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Montag, 26. September 2011

Hoher Besuch

Donnerstag, 22.09.2011 – ein Kommentar

Während im Ersten die Papstmesse live übertragen wird, sitze ich vor dem Fernseher und ärgere mich, dass Bilder der Demonstration gegen seinen Besuch kaum mehr als ein paar Sekunden Sendezeit erhalten. Immerhin 9000 Menschen versammelten sich am Donnerstagnachmittag zum Protest gegen den Papst am Potsdamer Platz und zogen schließlich friedlich zum Bebelplatz. Das ist einen Artikel wert, denke ich mir, greife zum Stift und beginne, meine Erfahrungen al s Teilnehmerin zu Papier zu bringen.
Der Spruch, den man überall lesen kann, heißt „keine Macht den Dogmen“. Er wurde auf Plakate gemalt, an Rucksäcke gepinnt oder auf T- Shirts gestempelt. Die Ähnlichkeit des Mottos mit einem Spruch, der zur Verhütung des Drogenkonsums aufrufen soll, ist dabei durchaus beabsichtigt. Doch bei einem Blick in die Menge beschleicht den Beobachter das Gefühl, dass viele der Demonstranten nicht  hier wären, dürften sie nicht kiffen. So oder so: Es ist eine bunt gemischte Menge, die sich versammelt hat: Linke Jugendorganisationen neben Vertretern der SPD, stark geschminkte Homosexuelle Seite an Seite mit Rentnerinnen, und natürlich überall Verkleidungen, Plakate und Luftballons, wobei letztere sich größtenteils durch aufgeblasene Kondome definieren. Einige der Teilnehmer scheinen auch komplett gegen jede Art von Glauben sein; diese sind allerdings eindeutig in der Minderzahl. Denn die Demonstration richtet sich ausdrücklich nicht gegen den christlichen oder irgendeinen anderen Glauben, sondern allein gegen den Besuch des Papstes und gegen den Würdenträger an sich.
Und da man sich dessen einig ist, ist die Stimmung gut: Durch Trommeln wird Rhythmus, später durch Boxen Musik erzeugt, und insgesamt überwiegt der Applaus, nicht die Buhrufe. Entschlossenheit prägt die Atmosphäre. Als sich die Menge allerdings nach knapp zwei Stunden Wartezeit immer noch nicht von der Stelle bewegt hat und man in den hinteren Reihen kaum etwas von den auf einer Brücke gehaltenen Reden mitbekommt, wird es allmählich langweilig. Man drängelt sich nach vorn, hört die Redner jetzt klarer. Zwei homosexuelle Priester, die ihre eigene Kapelle gegründet haben und jeden zum Gottesdienst einladen, der kommen möchte; ein Mann, der offen erklärt, dass er HIV- positiv ist. Er ist es auch, der klar macht, warum Verhütung so wichtig ist. Und damit das erste Argument einer möglichen Diskussion über Sinn und Zweck des ganzen bringt.
Schließlich könnte jemand berechtigten Zweifel an diesem Aufmarsch haben: Der Papst ist nur ein alter Mann, er hat niemandem etwas getan. Hat er auch nicht. Aber nur durch die Äußerung seiner Ansichten übt er enormen Einfluss auf einen nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung aus.
Es geht zum Beispiel um Verhütung, die eines Babys, um das sich die Eltern vielleicht noch gar nicht kümmern könnten, oder die von Krankheiten. Der Papst ist gegen Verhütung. Des weiteren gegen Abtreibung, falls ersteres nicht geklappt hat. Homosexualität war von Gott nicht vorgesehen, so sein Stellvertreter. Der Missbrauch von Kindern in katholischen Schulen und Heimen anscheinend schon, die Opfer danken. Wer zur Demonstration geht, ist der Meinung, dass jeder ein Recht hat, über seinen Körper, seine Sexualität zu bestimmen beziehungsweise sie auszuleben.
Andere könnten argumentieren: Jeder hat das Recht, zu glauben, was er will. Das stimmt natürlich, und wenn jemand seinen Glauben auslebt, indem er einen alten Mann verehrt, ist das sein gutes Recht. Obwohl man sich natürlich fragen sollte, ob das Ziel einer jeden Gesellschaft, eines jeden Staates nicht die Loslösung der Menschen von organisierter Religion sein sollte…
Und sicherlich hat jeder das Recht, dagegen zu protestieren, dass unsere Regierung es für selbstverständlich hält, dem Papst einen solch pompösen Empfang zu bereiten. Allerdings: Der „Papa“ ist nicht nur höchster Würdenträger der katholischen Kirche, sondern gleichzeitig Staatsoberhaupt des Vatikans, weshalb er mit gleichen Ehren empfangen wird wie andere Staatsoberhäupter. Und genau da liegt das Problem: Wir demonstrieren zu wenig!  Weder der Papst als konservativer Beeinflusser noch die Regenten von anderen Ländern, in denen sogar Menschenrechte verletzt werden, sollten ehrenvoll von unserer Kanzlerin empfangen werden. Genauso wenig, wie sie sich von ihnen empfangen lassen oder überhaupt mit ihnen Geschäfte tätigen sollte. Dieser Demonstration sollten weitere folgen, jedes Mal, wenn die Bundesregierung wieder Waffen an Tyrannen verkauft, sollten die Straßen voll von Menschen sein, die gegen diese Ungerechtigkeiten protestieren!
Zuletzt ein Statement, mit dem ich zum Thema zurückkomme und den Stift schließlich niederlege: Ich heiße den Papst nicht willkommen. Im Namen aller Missbrauchsopfer und Aidstoten.

von Josephine Valeske
pictures © Josephine Valeske

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