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Dienstag, 24. Mai 2011

Der Online-Roman Teil 4

RÜCKBLICK AUF KAPITEL 3: Ich liege noch immer im Krankenhaus. Alice besucht mich und will, dass
ich ihr alles erzähle- na prima! Aus dieser Situation rettet mich ein neuerlicher Zusammenbruch,
mein Zustand verbessert sich nicht und ich sehe Alice für eine Weile nicht. Dafür mache ich
Bekanntschaft mit meinem Arzt, der interessanterweise ebenfalls ein Werwolf ist. Ich schlafe viel und
wache eines morgens mit einer Nachricht von Alice auf, anbei liegt ein Zeitungsartikel, in dem vor
Wölfen gewarnt und von vom Fund eines schwer verletzten im Wald berichtet wird. Damit bin dann
wohl höchstwahrscheinlich ich gemeint…na toll.

Es ging mir im Hospital nicht schlecht, nein, es war sogar ziemlich angenehm, da ich
sowieso meistens nicht viel anders tat als zu schlafen. Außerdem war Dr. Selphard - so
nannte er sich zumindest, obwohl ich mir sicher bin, dass er nicht so heißt – sehr höflich und
zuvorkommend, wenn auch immernoch ein wenig hektisch, seitdem er unsere übernatürliche
Gemeinsamkeit erkannt hatte. Heute früh hatte er mir sogar einen Spaziergang im
hauseigenen Park angeboten, was ich selbstverständlich dankbar annahm, obwohl es mir
immer noch nicht gestattet war, aufzustehen. Was zwangsläufig bedeutete, dass ich in
einem stylischen Rollstuhl umherkutschiert werden musste. Nun ja, es war ungewohnt, aber
nicht unangenehm. Trotzdem ließ mich die ganze Zeit über ein Gedanke nicht los: Wann
würden die Medien mitbekommen, dass es mir besser ging, und wann würden die ersten
Journalisten Blut lecken?

Dr. Selphard war in Ordnung. Etwas verschroben, aber o.k. Außerdem war seine Tarnung
extrem gut, und hätte er sich nicht so deutlich offenbart, dann wäre es mir auch nicht
weiter aufgefallen. Und das will was heißen, denn Wölfe haben bekanntermaßen feinere
Sinne als einfache Menschen. Wenn er Zeit hatte, dann kam er vorbei und wir unterhielten
uns. Wie man so zurechtkommt, welche Tarnung man am liebsten mochte, und wie oft
man sie wechselte, um ganz sicher zu gehen, dass man nicht aufflog. Er hatte da ein
ausgeklügeltes System entwickelt: Zuerst zog er in eine neue Stadt und bewarb sich mit
einem, selbstverständlich gefälschten, unablehnbaren Studiumszeugnis und einser-Abitur,
beim städtischen Krankenhaus. Dort konnte er dann ein Jahr, notwendigerweise auch
länger bleiben, ohne dass jemand ihm in dieser Zeit auf die Schliche kommen konnte.
Und, als ob das nicht schon schlau genug wäre, konnte er in dieser Zeit Beziehungen zu
Dauerpatienten aufbauen, die er dann kurz nach Ende seines Aufenthalts umbringen und
fressen konnte. Zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, das war für ihn anscheinend
ein leichtes. Und diese Gabe hätte auch ich in dieser jetzigen Lage der Dinge sehr gut
gebrauchen können: Ich musste Alice UND den Medien irgendwie gleichzeitig und möglichst
glaubwürdig eine Halbwahrheit unterjubeln, und dann schleunigst aus dem Interesse der
Presse verschwinden.

Alice war wieder da gewesen. Die Freude war allerdings nicht von langer Dauer, denn
sie hatte einen weiteren Zeitungsartikel dabei. Und diesmal war die Schlagzeile noch
schockierender als letztes Mal.
-DIE WERWÖLFE – SEHEN WIR GESPENSTER ODER IST DOCH WAS DRAN???
Aufgrund der zwielichtigen Ereignisse der Nacht vor einer Woche wurden weitere
Nachforschungen betrieben. Vor Ort wurden durchaus interessante DNA-Proben gefunden,
die auf eine Zellmutation, zwischen menschlichen und Wolfsgenen herbeigeführt, hindeutet.
Übles Tierexperiment oder einfach nur ein schlechter Witz? –
Mein Entschluss stand fest: Es wäre die einfachste Lösung, jetzt zu verschwinden.

Als es dunkel wurde, hatte ich mich bereits auf meine Flucht vorbereitet. Die Verbände
hatte ich alle abgemacht, sie würden mich eh nur behindern und unnötig auffällig machen.
Ich wollte in kürze aufbrechen, aber wie, das war mir noch schleierhaft. Na ja. Einfach mal
probieren. Es gab nur zwei Wege: entweder ich brach die Tür auf, löste den Alarm aus
und musste mich höllisch beeilen, aus diesem Krankenhauskomplex zu entkommen, oder
aber ich sprang aus dem Fenster, brach mir dabei womöglich alle Knochen war aber mit
Sicherheit schneller. Dann müsste ich allerdings wirklich einen perfekten Moment abwarten,
der gerade nur danach schrie, für eine unbemerkte Flucht ausgenutzt zu werden. Denn wenn
mich jemand sah, wie ich mit einem Riesensatz aus dem Krankenhauszimmer in den Baum
davor sprang, mich dann auch noch zur Krönung verwandelte, um besser durchs Astwerk
zu kommen und dann schließlich mehr oder weniger blutverschmiert fauchend auf dem
Boden aufkam, nein… das war dann erst recht auffällig und riskant. Oberste Regel bei einer
geheimen Flucht: Keine unnötige Aufmerksamkeit auf dich ziehen und am besten das Revier
wechseln. Spuren verwischen, Mitwisser ausschalten und dann nichts wie weg. Am besten
leise.
Ich entschied mich für die Variante mit dem Fenster.

Mit Absicht hatte ich die Fensterläden geschlossen gehalten und die Vorhänge darüber
zugezogen. Je später man die Nacht und den hinterhältigen Mond erblickte, desto länger war
man Herr über sich selbst. Doch früher oder später musste er ja kommen, dieser Moment,
in dem ich wieder zur Bestie wurde, als das erste Mondlicht in meine Pupillen fiel und mein
ohnehin schon maßlos überfordertes Gehirn sich einmal umzudrehen schien. Weh tat es
nicht, höchstens seelisch, denn es ist wirklich kein schönes Gefühl, zu wissen, dass man,
gefangen im eigenen Körper, keine Macht mehr über sich selbst hatte. Das, was einen
Menschen ausmachte, wurde von der Bestie niedergedrückt und versteckt gehalten, bis sie
vom Tageslicht verscheucht wurde.
Um drüben im Baum anzukommen, musste ich, ob ich wollte oder nicht, die Gestalt
wechseln. Mit meinen menschlichen Beinen konnte ich beim besten Willen keine fünf
Meter weit aus dem Stand springen. Ich schaute hastig nach unten, links und rechts, dann
nahm die Verwandlung ihren Lauf, und gab meinem Verstand erst den richtigen Kick zum
wölfischen Denken.
Die Landung inmitten von Zweigen, Blättern und stachligen Etwassen war zwar nicht
angenehm, aber ich war froh, das mich der Pelz schützte und wollte mir nicht ausmalen,
wie es mir wohl gehen mochte, hätte ich dieses Kunststück in menschlicher Gestalt zu
vollbringen versucht. Ich schaute zurück, und musste feststellen, dass in sämtlichen
Zimmern des Krankenhauses das Licht ansprang. Rasch drehte ich mich wieder zurück, und
begann den Abstieg durchs Astwerk.

Unten angekommen, fiel mir sofort etwas auf. Ja, auch dass mir die Blätter überall auf
dem Kopf hingen und einige fiese Zweige noch in meiner Haut steckten; dass ich die
Rückwandlung zum Menschen wie immer etwas bedauerte; aber auch etwas anderes.
Ein wichtiges Detail hatte ich in meinem Überstürzten Handeln übersehen.
Ich brauche an dieser Stelle sicherlich nicht mehr zu erwähnen, dass Wölfe nachts einen,
sagen wir, gesunden Appetit haben.
Mit aufgeblähten Nasenflügeln und aufgesperrten Augen rannte ich in die Nacht hinaus, die
Witterung eines Opfers aufspüren.

Alice beeilte sich. Sie konnte nicht einschlafen, und hatte sich deshalb entschlossen, noch
einmal ihren Freund im Hospital zu besuchen. In ihrer Eile hatte sie vergessen, sich Schuhe
anzuziehen, und stolperte nun barfuß über die Straße.
Es war nicht mehr weit.
Sie ging schneller, und direkt nach einer Straßenbiegung blickte sie auf das mitten im
hauseigenen Park befindliche Krankenhaus. Sie entschloss sich, nicht den schnellen
Weg zwischen den Bäumen hindurch zu wählen, sondern den gepflasterten Aufstieg zur
Eingangspforte zu nehmen. Vielleicht hatten die Ereignisse aus dem Wald sie doch etwas
mehr mitgenommen, als sie selber dachte.

Kurz darauf, an der Rezeption blieb sie geschockt stehen. Die Infotante, die sonst in ihrem
komischen kleinen Glaskasten hockte und im Internet surfte, lag ausgestreckt auf dem
Boden. Nicht tot, aber sie würde wohl etwas länger als gewohnt schlafen.
Um ehrlich zu sein, erwägte Alice in diesem Moment bereits, wieder umzukehren, in ihre
eigene sichere Wohnung. Aber irgendwie schien ihr das lächerlich. Trotzdem, man stolperte
ja nicht alle Tage über eine ohnmächtige Krankenschwester!
»Was soll‘s«, seufzte sie und nahm die Treppe nach oben in den dritten Stock.

Vor der Tür zum Zimmer blieb sie unschlüssig stehen. Konnte man das wirklich machen,
mitten in der Nacht hier reinzugehen? Gerade wollte sie anklopfen, da zuckte sie zurück,
und musste einen Quietscher unterdrücken. Da drin war jemand. Zwei jemand, um genau
zu sein. Sie unterhielten sich, wenn man das so nennen mochte, denn wie eine nette
Unterhaltung hörte sich das nicht an.
»Levin, ich hatte dir doch ausdrücklich befohlen, ihn hier festzuhalten, bis ich hier bin! Oder
ist dem etwa nicht so?«, zischte eine unangenehm hohe, raue Stimme.
»Oh, doch, Herr, es ist nur so, dass…«
»Und warum«, aus dem unangenehmen Zischeln wurde ein weitaus mehr als
unangenehmes Zetern, »Warum sehe ich hier dann nichts als deine armselige, mickrige
Gestalt? Hä? HÄ!? Weil du unfähig bist! Unfähig! Unwürdig.« Das letzte Wort spie er aus wie
einen Schwall Sabber. Der andere, ein wahrscheinlich noch sehr junger Mann, winselte und
jaulte auf, als ein schallendes Geräusch erklang.
»Und wer unwürdig ist, den dulde ich nicht in meinem Rudel.« Ein irres, hohes lachen. Ein
sirrendes Geräusch, wie von Metall. Ein Aufschrei, ein dumpfer Ton, auf das ein Geräusch
wie von spritzendem Wasser folgte, ein weiterer Aufschrei, und zuletzt ein Aufprall. Stille.
Dann Schritte, die auf die Tür zukamen. Alice biss die Zähne zusammen, um nicht zu
kotzen. Momentchen mal: Die Schritte kamen auf die Tür zu! Auf Alice zu! Sie japste, und
stürzte geistesgegenwärtig an die Wand, direkt hinter die aufspringende Tür, aus der eine
im Zwielicht nur schwer erkennbare Gestalt trat. Sie schien, den Geräuschen nach zu
urteilen, schwere Stiefel zu tragen, und war vermutlich männlich; mehr konnte sie allerdings
nicht erfassen.
Als die Schritte auf dem Flur verklungen waren, konnte Alice nicht umhin, aufzuatmen, und
anschließend in Tränen auszubrechen. ES war so schrecklich, und sie hatte große Angst
davor, was sie in dem Raum wohl vorfinden mochte. Andererseits hätte sie sich nachher
geschämt, wenn sie jetzt nicht hineingegangen wär. Komm schon, Mädchen. Hör auf

rumzuheulen und geh jetzt da rein. Ja , jetzt. Los.

Sie gab sich einen Ruck, schluckte die Tränen herunter und wischte sie sich vom Gesicht.
Dann trat sie aus dem Schatten der Tür heraus und schaute durch den Rahmen hindurch
geradewegs in das Zimmer. Doch nun konnte sie wirklich nicht mehr an sich halten und

musste schreien, laut, hoch, entsetzt.
Inmitten einer riesigen Blutlache, zwischen umhergeworfenen Stühlen und einem
entzweigebrochenen Bett, lag dreckig und blutverschmiert der reglose Körper des Doktoren
Selphard.

ENDE KAPITEL 4

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