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Montag, 4. April 2011

Der Online-Roman


Gierig sog ich die Luft ein. Den Abendwind der mondhellen Nacht. Den Duft, den süßen Duft von lebendigem Fleisch und Blut.
Der Wald war düster, feucht, kalt und voller Gestrüpp, aber dennoch konnte ich beinah meine volle Geschwindigkeit ausschöpfen. Doch die würde ich gar nicht brauchen, nicht bei einem derart langsamen Opfer. Ich verfolgte das Mädchen schon die halbe Nacht lang, und mit jedem Schritt, jedem Sprung dürstete es mich mehr und mehr nach ihrem Blut, ihrem süßen, jungen Fleisch. Noch heute Nacht würde sie sterben müssen.

Leider hatte sie mein Gesicht noch nicht gesehen, wusste noch gar nicht, wer sie verfolgte. Wenn ich sie dann eingeholt hatte, würde ihr Entsetzen grenzenlos sein. Denn sie kannte mich, und ich kannte sie, sehr gut sogar, um genau zu sein. Bei diesem Gedanken musste ich grinsen. Töten machte immer viel mehr Spaß, wenn es so richtig persönlich wurde, dann hatte es noch etwas mehr von diesem Schrecklichen, Verbotenen an sich, wenn du verstehst.
Ein Schritt, und ich hörte den Stoff ihres Kleides rascheln. Noch ein Sprung, und ich roch ihren kalten Angstschweiß. Meine Lust, ihr Blut auf meiner Zunge zu schmecken, wuchs und wuchs, und einen unbeherrschten Augenblick lang musste ich hecheln.
Nicht weit entfernt nahm ich einen Schrei ihrerseits war, und mit einem lauten Knurren wechselte ich in die andere Gestalt und hechtete mit einem Sprung fünf Meter weit nach vorn.

Langsam wurde mir das Warten, die Erwartung unerträglich, und aus einem mir unerfindlichen Grund hatte sie es auf mysteriöse Weise geschafft, einen ordentlichen Vorsprung zu erzielen. Vielleicht war ich zu nachlässig mit ihr. Normalerweise hätte ich sie schon längst eingeholt haben müssen, und hereinlegen konnte sie mich nicht. Und wenn doch, dann würde sie qualvoll dafür büßen müssen. Ich war schon oft in diesen Wäldern auf der Jagd gewesen, und noch nie hatte es ein Opfer gewagt, auch nur zu versuchen, mich zu überlisten. Nein, dafür waren ich und die anderen, die so waren wie ich, viel zu berüchtigt.
Bei der Jagd ließ ich mich nicht nur von den Augen leiten. Diesen Fehler hatten schon zu viele Menschen begangen und waren so selbst zu Gejagten geworden. Wir Wölfe jedoch schärften unsere anderen Sinne ebenfalls zu tödlichen Waffen und wurden so die perfekten Killer. Jeder hatte da seine Vorlieben. Ich zum Beispiel bevorzugte den Geruchsinn bei der Jagd. Wenn man dabei die Luft mit Zunge und Nase schmeckte und so die Beute witterte, wurde das Ganze noch spaßiger. Je bestialischer, desto besser.
In meiner wilden Hatz durch den Wald musste ich wohl dank meinem schier unstillbaren Blutdurst die Fährte verloren haben, denn nach einiger Zeit fiel mir auf, dass ich den warmen Duft von Frisch -fleisch schon lang nicht mehr vernahm. Auch konnte ich keine unbeholfenen Füße mehr durchs Unterholz trampeln hören. Ich blieb stehen und richtete mich auf, überprüfte sicherheitshalber noch einmal mit der Nase die Luft. Kein Menschengeruch, jedenfalls kein frischer. Vor Wut schäumend bleckte ich die Zähne, brachte nichts weiter als ein erbostes Jaulen hervor und stürzte, zurück in das Wolfsfell gleitend, denselben Weg, den ich hergekommen war, wieder zurück. Ich war überlistet worden.
Alice schrie auf, als sie hinter sich Zweige knacken hörte. Schon mehrere Stunden lang wurde sie verfolgt, wusste aber nicht, was – oder gar wer – ihr Jäger war. Soweit sie sich erinnern konnte, war ihr seit dem frühen Abend jemand gefolgt, und nach etwa einer halben Stunde unablässigem Gestalkt werden hatte das begonnen, ihr Angst zu machen. Schlagartig war ihr bewusst geworden, dass sie es unmöglich noch bis nach Hause schaffen konnte, ohne dass der Verfolger sie bis dahin eingeholt hatte. Also war sie in den Wald gerannt, in der Hoffnung, dass ihn das abschrecken und er sie in Ruhe lassen würde, denn auf die viel weniger gefährliche Idee, an einem viel belebten Ort in der Menge Schutz zu suchen, war sie nicht gekommen. Doch anscheinend war das genau die falsche Entscheidung gewesen. Was auch immer sie da verfolgte, es fühlte sich im Wald zuhause. Doch Alice hatte schon einen Plan.
Wer oder was auch immer das war, es wollte sie töten, das musste so sein, denn ansonsten hätte es schon längst von ihr abgelassen. Und wenn es sie töten wollte, dann wollte es sie wahrscheinlich auch fressen. Und dann musste es ein Tier sein, ein wildes Tier, blind vom Gedanken an Frischfleisch.
Wenn sie es überlisten und sich so retten wollte, musste sie dann also nur…
Alice ließ sich in den Schlamm fallen. Sie wälzte sich darin, das fand sie zwar unwahrscheinlich eklig, aber die Hoffnung, dass das ihre Chancen erhöhte, dass es ihren eigenen Körpergeruch überdeckte, war stärker als der Widerwillen.
Bedeckt mit Erde schlug sie sich ins Unterholz. Versteckte sich hinter einem Baum. Keine Zeit zu verlieren. Wartete verstört und rührte sich nicht. Eine ganze Weile lang. Dann hörte sie ihn. Und dann sah sie ihn, obwohl es ihr lieber gewesen wäre, es wäre ihr erspart geblieben.
Denn im Halbdunkel hatte sie die Umrisse eines menschlichen Körpers erkannt. Sie krallte die Finger in ihren Oberschenkel, um mit dem Schmerz ihre eigene, grenzenlose Panik zu überdecken.
Dann, als der Jäger nicht mehr zu sehen noch zu hören war, rannte sie zurück in die Richtung, aus der sie den Wald betreten und dem Verfolger somit einen großen Gefallen getan hatte. Mit etwas Glück konnte sie so den über Leben und Tod entscheidenden Vorsprung aufholen, bevor er etwas bemerkte und so mehr oder weniger wohlbehalten, aber dennoch lebendig, nach Hause zurückkehren.

Wütend knurrend verfolgte ich meine eigene Duftspur zurück.
Um mir und meinem Ehrgefühl gerecht zu werden, hatte ich mich entschlossen, das Wolfsfell wieder abzulegen. Schließlich hatte ich es mir selbst zuzuschreiben, dass ich mich so leicht hinters Licht führen ließ. Deshalb legte ich die komplette notwendige Strecke in meiner ursprünglichen, menschlichen Gestalt zurück. Außerdem wäre der Moment sicherlich zuckersüß und köstlich, wenn sie mich zum ersten Mal heut Nacht sah, einen erleichterten Seufzer ausstoßend, weil es ein vertraute Gesicht war. Und diesen, genau diesen Augenblick musste ich ausnutzen, um ihr an die Kehle zu springen.
Ich kam ins Straucheln, als ich verblüfft zum Stehen kam. Das musste die Stelle sein, an der sich Alice irgendwo versteckt, meine rasende Blindheit ausgenutzt haben und sich dann in die entgegengesetzte Richtung geflüchtet haben musste - Das war nur logisch: Wo sollte sie denn sonst hin? - , denn hier war der frische Menschengeruch besonders stark. Abschätzig musste ich grinsen, als ich am Boden eine aufgewühlte Stelle im Erdreich sah. Das dumme Ding hatte doch nicht etwa tatsächlich geglaubt, dass es den eigenen, lebendigen Geruch mit Erde überdecken konnte. Sie hatte sich wie eine Wildsau im Dreck gesuhlt. Gar nicht so blöd, aber sie unterschätzte mich, und das war ihr tödlicher Fehler. Unter einer Herde stinkender Rinder hätte ich den Geruch ihres süßen Blutes wiedererkannt. Nun, jetzt konnte ich mir genau erschließen, wie sie mich zum Narren gehalten hatte.
Ich sprintete los, meine Jacke flatterte im Wind. Ich durfte wirklich keine Zeit mehr verlieren. Diese Nacht wollte ich das noch erledigt haben.

Die Fährte zurückzuverfolgen, war mir ein Leichtes. Ich konnte die Zeit nebenbei sogar nutzen, um ein wenig über Alice und mich nachzudenken. Sie war ein wunderschönes Mädchen mit wallendem, schwarzen Haar und kristallblauen Augen. Alles an ihr war nahezu perfekt, wäre da nicht die eine Sache, die jeden von uns an den Menschen störte. Denn ihr Körper verweste, in jedem Augenblick, an jedem Tag, wie das Fleisch jeden sterblichen Wesens. Ich konnte sie zwischen meinen Fingern zerrinnen und sterben fühlen. Doch wenn ich mit ihr fertig wäre, würde alles Leben aus ihrem Körper gewichen sein, die Haut kalt, blass und schön. Romantisch blutende Wunden. Perfekt, vollkommen, für den Rest der Nacht. Und ich wäre satt geworden.
Ja, ich liebte sie. Ich hatte sie alle geliebt, all die Mädchen, und jetzt waren sie alle tot. Die Beziehungen fingen immer an mit Treffen, Gesprächen, Küssen und feuriger Liebe, Lust und Leidenschaft, das war der Teil, in dem sie ihren Spaß hatte. Doch bei jedem liebes- heißen Kuss, jedem lustvollen Blick aus ihren Augen musste ich mich mehr und mehr zusammenreißen, mich zurückhalten, ihr nicht einen Streifen Haut herunterzureißen und meine Zähne in den freigelegten Muskel zu schlagen. Doch das war jetzt vorbei. Jetzt war ich an der Reihe, die Jagd war eröffnet. Das war immer der Höhepunkt einer jeden Beziehung, wenn sich Erkenntnis in ihren angstgeweiteten Augen widerspiegelte, im letzten Moment des Lebens um meine Identität und das eigene Schicksal wissend.

Auf dreißig Metern Entfernung konnte ich sie wittern, auf zehn Metern sah ich sie, gefangen auf einer Lichtung. Kleiner, hübscher Fisch, gefangen im Netz. Sie hatte ausgespielt. Alle Richtungen waren versperrt, der einzige Ausweg der Pfad, auf dem ihr das Ungeheuer gefolgt war. Im letzten Augenblick kam mir dann noch ein bahnbrechender Einfall. Ich konnte wie ein Trampel aus dem Unterholz und Gestrüpp gestolpert kommen, den verwirrten Trottel spielen, der froh ist, seine Freundin zu treffen. Ein erleichtertes Wiedersehen, ein romantischer Kuss. Dann ein lüsternes Zuflüstern meinerseits, ein Angstschrei, der verzweifelte Versuch, zu entkommen, und dann schließlich ihr Tod. Das musste ein Heidenspaß werden. Persönlich und bestialisch. Als Werwolf musste man immer den richtigen Mittelweg finden.
Also stolperte ich geräuschvoll bis zur Lichtung und brach unter Getöse aus den Schatten des Waldes. Blickte mich um, als wüsste ich nicht, wo ich sei.
Natürlich bemerkte Alice meinen bühnenreifen Auftritt sofort, war erst erschrocken und schrie auf, doch als sie mich erkannte, beruhigte sie sich wieder. Vertrauen. Beste Voraussetzungen. Ich freute mich schon auf das Entsetzen.
Doch es sollte alles ganz anders kommen.
Ich startete meine Show, und musste zudem ein ziemlich guter Schauspieler sein, denn sie zeigte keinerlei Anzeichen von Misstrauen.
»Alice«, rief ich, mehr brachte ich nicht hervor, denn für mehr war gar keine Zeit.
Denn aus dem Gesträuch kam ein anderer großer Wolf mit hellem Fell hervorgesprungen, verwandelte sich noch im Sprung und landete direkt neben der, im Schockzustand bewegungsunfähig kreischenden Alice, umklammerte mit den Händen Alices Schultern und legt ihren Hals frei, um ihr Leben mit einem einzigen Biss zu beenden…

Ende Kapitel 1

von Jones Aman

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