von Jones Aman
Einen Augenblick lang schien die Zeit stillzustehen. Alice in ihrem Schock völlig bewegungsunfähig und mit gehetztem Blick, gefangen in den Klauen einer Kreatur, deren Existenz sie noch gestern angezweifelt hätte. Ich in geduckter, sprungbereiter Haltung, etwas verblüfft über den Verlauf der Dinge. Und dann noch er, drohend, mir meine Beute wegzunehmen. Normalerweise tun wir das nicht. Seit die Clans und Rudel aufgelöst wurden, jagt jeder Wolf für sich allein. Wir gehen uns aus dem Weg, und wenn wir uns dann doch einmal begegnen, dann lassen wir uns nichts anmerken. Kämpfe sind sehr, sehr selten geworden. Dafür sind sie umso wilder, blutiger und tödlicher, wenn es einmal dazu kommt. Genauso wie jetzt.
Er musste mitbekommen haben, dass er nicht der einzige Wolf auf der Lichtung war, denn er prüfte, mit den Nasenflügeln zuckend, die Luft, und dann fiel sein Blick auf mich. Der andere hatte ein blasses Gesicht mit geröteten Augen und tiefen, dunklen Augenringen, bei denen ich mir nicht sicher sein konnte, ob sie nun geschminkt oder echt waren. Allerdings tippte ich auf echt, denn letzte Nacht war Vollmond gewesen. Da kriegte kein Wolf ein Auge zu, denn im Zeitraum nahe dem Vollmond war der Blutdurst immer besonders groß, und man konnte sich nur sehr schlecht beherrschen. Das blassblonde Haar hatte er zu einem Zopf straff nach hinten gebunden, und er trug eine dunkelblaue Jacke. Es stand fest – das hier würde nicht in einer friedlichen Diskussion enden, sondern in einer wilden körperlichen Auseinandersetzung.
Wenn er sie jetzt töten würde, musste er sich danach gegen mich verteidigen. Er könnte auch mich zuerst angreifen, um danach in Ruhe seine gestohlene Beute zu verschlingen. Oder aber – was sehr, sehr unwahrscheinlich war – er kapitulierte schon vorher, um diese Nacht unversehrt heimzukehren. Aber das würde er nicht wagen. So etwas tut ein Wolf nicht. Dann hätte er mit allgemeiner Verachtung und Spott rechnen müssen.